Klostergründung
Von seinen Anfängen an war das Kloster Waldsassen als landschaftsgestaltende Kraft gedacht. Seine Gründung erfolgte wohl 1132 im Zuge des Landesausbaus der „RegioEgere“ durch Markgraf Diepold III. von Vohburg. Keineswegs geschah dies in der Wildnis und Einsamkeit des Nordwalds, sondern vielmehr in einem von Siedlungsinseln und Altstraßen durchzogenen Gebiet. Durch zahlreiche Schenkungen von Dörfern und Ländereien,später auch durch Käufe und gezielte Arrondierung formierte sich allmählich das Waldsassener Stiftland, reichsunmittelbar seit 1214. Bis ins beginnende Spätmittelalter hinein erfolgte hier (wie auch im umfangreichen Fernbesitz auf dem Nordgau, in Böhmen und Franken) mittels des Systems von Grangien (Wirtschaftshöfen, die in der Anfangszeit von zisterziensischen Laienbrüdern bewirtschaftet wurden) eine hocheffizienteBewirtschaftung von Feldern, Wäldern und Teichen.[/fusion_text][fusion_text]Parallel zu dieser Entstehungsgeschichte, die als historischer Konsens gilt, existiert eine andere, stark erzählerisch geprägte Überlieferung. Im aus Waldsassen stammenden Codex latinusmonacensis 1091 in der Bayerischen Staatsbibliothek sind zwei Versionen einer Klostergründungsgeschichte (eine lateinische Prosa- und eine mittelhochdeutsche Versfassung) aus der Zeit um 1300 erhalten, die eine eigene Version der Klosterentstehung wiedergeben.
Ein gewisser Gerwig aus dem westfälischen Geschlecht der Volmarsteinersei vormals Turniergefährte des Diepold von Vohburg gewesen. Nachdem er den Freund im ritterlichen Kampf vermeintlich getötet hatte, trat er aus Reue zuerst in das Benediktinerkloster Siegburg ein, ließ sich aber später mit gleichgesinnten frommen Männern in der Waldeinsamkeit von Köllergrünnieder und begann dort mit der Rodung. Als Diepold bei einem Jagdausflug Gerwig entdeckte und wiedererkannte, schenkte er ihm so viel Wald, wie er an einem Tag durchwandern könne. Die Gruppe zog nun an den heutigen Ort des Klosters um, wo sich in einer Vision der heilige Evangelist Johannes zeigte und damit die himmlische Wertschätzung für die Neugründung bekundete.
Im 16. Jahrhundert wurde die Überlieferung über die Schenkung Diepolds dahingehend verändert, dass er Gerwig so viel Land überlassen habe, wie er an einem Tag umreiten konnte. Daher rührt die Bezeichnung „Eselsgraben“ für die frühmittelalterlichen Wall-Graben-Anlagen in der Waldsassener Umgebung.
So unklar ist, wieviel an historischem Tatsachenwissen in die ursprüngliche mittelalterliche Gerwig-Erzählung eingeflossen ist, so deutlich ist ihre jahrhundertelange historische Prägekraft als identitätsstiftende Überlieferung in Waldsassen – bis in die unmittelbare Gegenwart. Spätestens seit der Barockzeit wurde Gerwig als Seliger verehrt, und seine Vita wurde in den Medien der Kunst (in den Chorfresken der barocken Stiftskirche) und in der Literatur als „Waldsassener Gründungsmythos“ immer wieder rekapituliert und so im Selbstverständnis des Konvents verankert wie nach der Säkularisation in dem des Waldsassener Bürgertums.Deutlich wird dabei, dass in beiden Versionen der Klosterentstehung die geistliche Berufung der Mönche eher in den Hintergrund tritt gegenüber ihrem landschaftsprägenden Wirken, das damit untrennbar mit den historischen Wurzeln des Ortes verbunden ist.
Autor: Dr. Georg Schrott